26.04.2012 Süddeutsche Zeitung

23 Quadratmeter Glück

Foto: Florian Peljak

Endlich Freiraum: Bettina Zastrow (links) und Isabelle Jacquelin-Simbürger haben zwei von drei begehrten Ateliers im Bürgerhaus bezogen.

Endlich eigene Ateliers: Isabelle Jacquelin-Simbürger und Bettina Zastrow malen im Bürgerhaus
Unterföhring

Unterföhring – Eine riesige, lebensgroße Kuh aus Kunstharz im Wohnzimmer ist so eine Sache. Sie steht natürlich immer im Weg, man muss um sie herumleben, sie ständig verrücken. Und wenn man sie dann auch noch bemalen will, wie im Falle der in Unterföhring lebenden Künstlerin Isabelle Jacquelin-Simbürger, dann wird so ein Kunstprojekt zur Geduldsprobe für die ganze Familie. Aber das ist nun vorbei. Seit drei Monaten hat die Mutter von zwei großen Kindern endlich Platz. Und noch viel besser: Platz für sich ganz allein. Sie hat eines von drei Ateliers im Bürgerhaus Unterföhring bezogen, das die Gemeinde Künstlern zur Verfügung stellt, die kein eigenes Atelier haben. „Ständig Farben hin- und herzuräumen, Bilder auf- und wieder abzubauen – das mache ich nun endlich nicht mehr“, sagt Simbürger. Und sie ist glücklich. Die Frau, die eigentlich gebürtige Französin ist und deren Sprache eine sympathische bayerisch-französische Färbung hat und letztes Jahr bereits im Bürgerhaus ihre erste große Ausstellung hatte, kann nach getaner Arbeit endlich alles stehen und liegen lassen, endlich an ihren Kunst-Tieren arbeiten und einen großen Auftrag fertigstellen: Einem riesigen Pferd, das nun nicht mehr im Wohnzimmer Platz frisst, gilt es die nächste Zeit ein farbiges, bildreiches „Fell“ zu verpassen. Mit dem Gefühl, ein großes Stück Freiheit dazugewonnen zu haben, steht sie nicht allein da. Ihre Nachbarin Bettina Zastrow ist die Zweite im Bunde, die im zweiten Stock des Bürgerhauses ein Atelier bekommen hat. Sie hat das begehrte Waschbecken im Zimmer, dafür hat Simbürger das größere Atelierfenster. Auch Zastrow hat daheim im Wohnzimmer gemalt – nun sind 23 Quadratmeter ihr ganzes Glück. Eigentlich ist die Künstlerin seit Jahren in der IT-Branche tätig, aber mit ganzer Kraft arbeitet sie darauf hin, doch einmal von der Kunst leben zu können. „Dass die Gemeinde mich ausgewählt hat, beflügelt mich.“ Mit dem Malen hat sie einfach angefangen, weil sie es, wie sie sagt, „schon immer“ machen wollte. „Ich habe mir Leinwände, Farbe und Pinsel gekauft und losgelegt“, sagt die 44-Jährige. Heute kann sie ohne ihre Pinsel nicht mehr sein. Hauptsächlich am Wochenende ist sie im Atelier. „Wenn ich ein paar Tage nicht male, dann fehlt mir was“, erklärt sie weiter. Ein orange glitzerndes, kleines Skizzenbuch ist der Bewahrer ihrer Gedanken. Sie hat es immer dabei, genauso wie Buntstifte. Ein eigenes Atelier – dass dieser Wunsch in Erfüllung gegangen ist, eint die beiden Unterföhringer Künstlerinnen. Künstlerisch nämlich gehen sie komplett verschiedene Wege. Zastrow abstrahiert, sucht die Reduktion auf das Wesentliche. Es entstehen meist einfarbige Formen auf weißer Leinwand, die wirken wie in Farbe gegossene Gedanken. Simbürger dagegen liebt die Farbintensität, viele Details, Bilder in Bildern. Fröhlich sind ihre Arbeiten und lustig ihre mit Motiven über und über bemalten Tiere, die Kunstwerke für draußen sind. Ein grundierter Mops wartet auf seine Bebilderung, ein Schwein und ein Katze. Und bald kommt das riesige Pferd. Eines irritiert allerdings. Die beiden Räume sind noch so sauber, gleichen eher außergewöhnlichen Büros als Ateliers. Keine herumliegenden Materialien, keine Farbkleckse am Fußboden. „Aber die“, sagt Simbürger lachend, „könnten schon noch kommen“. Für ein halbes Jahr steht beiden Künstlerinnen das Atelier zur Verfügung. Dann besteht die Option, den Vertrag umweitere sechs Monate zu verlängern. Auch soll das dritte, noch leer stehende Atelier demnächst vergeben werden „Wir wollen sehr gerne eine Fluktuation haben, damit wir vielen Künstlern die Ateliers anbieten können“, sagt Florian Nagel vom Kulturamt. Anden Tag, an dem beide die Räume wieder verlassen müssen – an diesen Tag möchten sie lieber noch nicht denken.
Nicole Graner