Jens Kügler

„Red Star“

Red Star

Red Star

Red Star: Galaktische Urgewalt. Eine Schöpfung.

Explodiert ein Stern? Schießen Feuerpfeile durchs Universum? Ist es eine Art Urknall? Scheinbar. Denn Red Star brennt. Das Bild fesselt den Betrachter. Es vermittelt ihm das Gefühl, Zeuge eines galaktischen Naturschauspiels zu sein. Fast meint man, dass die rasende Glut schon eine Nanosekunde später den Rahmen sprengt – im wahrsten Sinn des Wortes. Natürlich ist Bettina Zastrows Red Star eine irdische Momentaufnahme. Aber als solche ein Erdbeben – kein Stillleben. Lässt sich der Betrachter auf das Bild ein, zieht es die Blicke wie von Schwerkraft an und lässt sie schier wie Lava erstarren. Anders gesagt: So wie der Stern in alle Richtungen fliegt und flieht, saugt ein imaginäres schwarzes Loch im Zentrum die Blicke auf wie ein Vakuum. Und so wie das Bild den Raum dominiert, ohne ihn zu sprengen, hat der Betrachter keine Chance, sich zu entziehen.

Orangerote Linien auf weißem Grund: Mit scheinbar einfachsten Mitteln, reduziert aufs Wesentlichste, erzeugt Bettina Zastrow eine Kraft und Intensität von unvergleichlicher Dynamik. Etwas, das uns aufwühlt und in seinen Bann zieht. Die Bewegung ins Unendliche, eingerahmt auf 40x40cm, die Raum und Zeit überwindet. Ein Anachronismus, der ansteckt.

Ist Red Star nun eine Supernova? Oder doch eine Anspielung auf untergegangene irdische Systeme? Ja – vielleicht auch das. Entblößt Bettina Zastrow mit ihren Werken nicht immer ihre ganz eigene, augenzwinkernde Sicht auf Dinge dieser Welt? Richtig. Red Star könnte eine politische Andeutung, ja Wertung enthalten. Schließlich ist der Betrachter selbst der Interpret. Dieses Merkmal zieht sich durchs gesamte Werk der Künstlerin. Doch etwas ist bei Red Star anders. Hier durchbricht Bettina Zastrow ihre sonst so klaren Strukturen. Hier löst sie sich scheinbar auf, die Welt der mathematisch geraden Linien. Der augenzwinkernden Vereinfachungen. Der Zeichensprachen, die, piktogrammartig reduziert, mehr zu sagen imstande sind als prallgefüllte Szenerien romantischer Landschaftsmalereien. Mit Red Star entblößt sich die Welt der Bettina Zastrow der heiteren Geradlinigkeit. Dieses Werk steht, zeigt oder deutet nicht. Es bewegt sich in alle Dimensionen. Die Künstlerin projiziert nicht auf die Fläche, sondern in den Raum.

Offenbart sich im Red Star eine „neue“ Bettina Zastrow? Ja – und doch bleibt sie sich treu. Auch in diesem Bild regt sie zum Spiel mit der Suche nach der Deutung im Ausgelassenem an. In dem, was im Weißraum zwischen den Linien und Zeichen eingeschlossen ist. Das schwarze Loch ist – wie gesagt – imaginär. Denn das Universum des Red Star ist weiß; das Nichts, das erst die Fantasie mit Leben befeuert.

Lassen wir die Gedanken also frei. Ist Red Star das Ende eines Sterns? Dann ist es auch die Geburt von neuem Leben. Urknall, Schöpfung … Götterdämmerung. Dramatische Musik entsteht im Kopf, die noch im Untergang bereits mit dem Anklang einer Morgenröte spielt. Eine moderne Wagner-Interpretation? Das mag nicht die Intention der Künstlerin gewesen sein. Aber Red Star bewegt sich über jede Intention hinaus und avanciert von der Malerei über die Poesie zur Musik. Andere Betrachter mögen mit diesem zweifellos modernem Bild zeitgemäße Klänge verknüpfen. Aber bei mir ist es in der Lage, selbst die Brücke über Jahrhunderte zu einem Meilenstein der Musikgeschichte zu spannen. Nur die Emotion zählt schließlich, und die erzeugt hier Dramatik. Welches Bild mag Wagner im Kopf gehabt haben, als ihm das infernalische Finale der Nibelungenwelten aus der Feder floss…?

Jens Kügler, Juli 2012